Netzfundstück :
https://www.zeit.de/2018/49/nazi-mode-rechtsextremismus-christoph-schulze-interview
Nazimode:
Waffen, Runen, Berge
Wonach wählen Rechtsextreme aus, welche Kleidung sie tragen – und was hilft, wenn eine Marke von ihnen vereinnahmt wird? Fragen an den Soziologen Christoph Schulze
Interview: Josa Mania-Schlegel
29. November 2018, 9:39 Uhr ZEIT im Osten Nr. 49/2018, 29. November 2018 138 Kommentare
Aus der ZEIT Nr. 49/2018
DIE ZEIT 49/2018
Nazimode: Rechtsextreme am 1. Mai 2018 in Erfurt
Rechtsextreme am 1. Mai 2018 in Erfurt © Alexander Koerner/Getty Images
Inhalt
DIE ZEIT: Herr Schulze, es kommt öfter vor, dass bestimmte Modelabels sagen: Ihre Kleidung werde von Rechtsextremen gegen ihren Willen vereinnahmt. Ist das möglich?
Christoph Schulze: Es passiert jedenfalls immer wieder. Es gibt viele unterschiedliche rechte und rechtsextreme Strömungen, und genauso unterschiedlich ist deren Mode. Manche Neonazis orientieren sich modisch an der Alternativkultur, andere tragen eindeutige politische Symbole. Gemeinsam ist ihnen allen höchstens das Image, das sie transportieren wollen und das sie zu bestimmten Marken bringt.
ZEIT: Und das wäre?
DIE ZEIT 49/2018
Dieser Artikel stammt aus der ZEIT Nr. 49/2018. Hier können Sie die gesamte Ausgabe lesen.
Schulze: Die Kleidung soll die eigenen wehrhaften, eventuell aggressiven Wesenszüge zum Ausdruck bringen. Da sehen Sie Wikinger auf der Brust oder Totenköpfe am Rücken. Fast immer geht es darum, Stärke und eine gewisse Form der Männlichkeit zu demonstrieren. Häufig pflegen Rechtsextreme ein Bad-Boy-Image, ein Rebellentum. Wenn Kleidungsmarken nun genau dieses Image bedienen, wenn sie etwa auffällige Kleidung mit martialischen Symbolen produzieren, dann werden sie manchmal bei Rechtsextremen besonders beliebt, obwohl sie es vielleicht nicht darauf angelegt hatten. Manche legen es aber auch darauf an.
ZEIT: Welche zum Beispiel?
Schulze: Die Marke Ansgar Aryan etwa. Sie wurde von einem Oberpfälzer Neonazi gegründet. Die Kleidung wird offensiv auf rechtsextremen Seiten beworben. Als Käufer erweist man auch seiner Szene einen konkreten Dienst.
ZEIT: Sieht man es den T-Shirts an, dass ein Rechtsextremer sie verkauft?
Schulze: Die Motive von Marken wie Ansgar Aryan sind eindeutig, die Verherrlichung der "Arier" steckt hier schon im Markennamen. Besser verkauft sich jedoch weniger eindeutige Mode, etwa die von Thor Steinar. Die ist weiterhin ein wichtiges Erkennungszeichen der rechtsextremen Szene, die Firma macht Millionenumsätze.
ZEIT: Was macht sie beliebt?
Christoph Schulze
Rechtsextremismusforscher, arbeitet am Moses-Mendelssohn- Zentrum der Universität Potsdam.
Schulze: Eben dass sie uneindeutiger ist. Viele der Träger wollen im Zweifel nicht zugeben, etwas mit Rechtsextremismus am Hut zu haben. Auch viele Motive sind eher diffus: Totenköpfe, Waffen und Runen, aber auch Berglandschaften oder Darstellungen aus der nordischen Mythologie.
ZEIT: Wer Thor Steinar kauft, weiß doch aber, dass das viele Rechtsextreme tragen.
Schulze: Genau, aber wenn dich der Ordner im Fußballstadion auf dein T-Shirt anspricht, kannst du entgegnen: Was stört dich denn am Wikingerschiff? Dieses Spiel mit Affirmation und Distanzierung ist typisch für den Rechtsextremismus und macht Mode, die mit Andeutungen arbeitet, zu einem Erfolgsmodell.
ZEIT: Welche Marken haben dagegen das Problem, vereinnahmt zu werden?
Schulze: Da fällt einem gleich Fred Perry ein. Sie gehört zu den Marken, die weder rechte Codes verwenden, noch von Rechtsextremen gegründet wurden – und trotzdem in der Szene beliebt sind. Aktuell schätzen etwa Anhänger der Identitären Bewegung diese Marke. Die Hemden sind integrierbar in einen Stil, der ein sauberes, mitteleuropäisches Körperideal betont. Eine Rolle spielt sicher das Logo, der Lorbeerkranz, als Zeichen für Sieg, für ehrenhaften Kampf. Aber das ist noch nicht der ganze Grund dafür, dass die Marke bei Rechtsextremen so beliebt wurde.
"Es werden sogar linke Symbole vereinnahmt"
ZEIT: Sondern?
Schulze: Der Namenspatron Fred Perry hatte es vom Arbeiterkind zum erfolgreichen Tennisspieler gebracht, er ist ein Working-Class-Hero. In der frühen Skinheadszene, auch in deren nicht rechtem Flügel, trug man die feinen Fred-Perry-Polohemden als eine Art proletarisches Sonntags-Dress. Als sich in den Achtzigerjahren Teile der britischen Skinheadszene weit nach rechts orientierten, brachten sie ihre Codes in den Rechtsextremismus ein, darunter auch ihre Polohemden. Und die Neonazis griffen das auf. Man wollte den Arbeitern so zeigen: Schaut, wir sind bei euch, wir machen euren Befreiungskampf mit.
ZEIT: Rechtsextreme schustern sich also gerne große Geschichten zusammen?
Schulze: Oft läuft es auch viel zufälliger. Schuhe von New Balance sind unter Rechtsextremen beliebt, weil ein großes N an ihrer Seite prangt. Da kann man "Nationalist" rauslesen, muss man aber nicht. Und Lonsdale, eine britische Boxer-Marke, war in Deutschland jahrelang bombenfest als Nazimarke etabliert – ihr Schriftzug ergibt bei halb geöffneter Jacke die Buchstabenkombination NSDA, also beinahe NSDAP.
ZEIT: Wie kann man sich als Unternehmen gegen solche Vereinnahmung wehren?
Schulze: Lonsdale hat es bewiesen. Die Firma brauchte zwar eine Weile, um das Phänomen mitzubekommen – und auch, um überhaupt ein Problem darin zu erkennen. Aber dann brachten die Briten eine regelrechte Kampagne auf den Weg. Man trat als Sponsor bei Multikulti-Festivals auf, entwarf den Slogan "Lonsdale loves all colours" und ließ ihn auf Trikots afrikanischer Fußballmannschaften drucken. Und: Man hörte auf, rechte Shops zu beliefern.
ZEIT: Hat das etwas gebracht?
Schulze: Unbedingt. Auch wenn Markenimages träge sind. Es gibt heute noch Leute, die bei Lonsdale denken, sie hätten einen Neonazi vor sich. Tatsächlich ist die Marke unter Neonazis inzwischen viel weniger beliebt.
ZEIT: Kann man von den Herstellern denn erwarten, dass sie permanent Acht geben, dass sie keine Aufdrucke verwenden, die Rechtsradikale für sich uminterpretieren?
Schulze: Die Hersteller können nicht aus der Verantwortung entlassen werden. Schließlich können sie Einfluss darauf nehmen, mit wem sie Geschäfte machen und zu welchen Fragen sie sich äußern. Aber natürlich ist es ein schwieriges Unterfangen. Es gibt nicht wenige Neonazis, die das auch bei Linksradikalen verbreitete Schmäh-Kürzel ACAB auf ihren T-Shirts stehen haben. Das steht für: All cops are bastards. Wörtlich: Alle Polizisten sind Bastarde. Heißt: Es werden sogar linke Symbole vereinnahmt.
ZEIT: Um die Gegenseite zu ärgern?
Schulze: Vielleicht, ja. Neben der Markenkleidung gibt es noch andere bemerkenswerte Phänomene: zum Beispiel neonazistische und völkische Jugendverbände wie einst die inzwischen verbotene "Heimattreue Deutsche Jugend". Dort werden Zimmermannshosen oder gar Tracht getragen. Ein altmodisches Outfit als Zeichen gegen die globalisierte Welt, sozusagen neu entdeckt. Daran sehen Sie: Moden ändern sich. Auch bei Rechtsextremen.
geschrieben am: 17.12.2018